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WHOA SPECIAL - 1. Teil
Das niederländische Gesetz zur Bestätigung des außergerichtlichen Vergleichs (Wet Homologatie Onderhands Akkoord, im Folgenden: das WHOA) ist, ebenfalls wie das Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz (StaRUG), am 1. Januar 2021 in Kraft getreten. Ebenso wie das StaRUG, führt das WHOA ein präventives Restrukturierungsverfahren ein, dass eine effektive Restrukturierung eines Unternehmens in der Krise ermöglicht, um Insolvenzen von lebensfähigen Unternehmen abwenden zu können.
In diesem Newsletter werden wir eine Bilanz nach 2,5 Jahren WHOA ziehen und einen kurzen Überblick über das niederländische WHOA-Verfahren geben. Zudem werden wir bestimmte Themen des WHOAs mit dem StaRUG vergleichen.
Einführung
Das StaRUG setzt die am 20. Juni 2019 verabschiedete Restrukturierungsrichtlinie[1] in deutsches Recht um. In den Niederlanden hingegen, wurde bereits im insolvenzrechtlichen Modernisierungsprogramm von 2012 ein präventiver Restrukturierungsrahmen vorgesc hlagen. Ein Vorentwurf wurde in 2017 veröffentlicht. Ab den Verhandlungen zur Restrukturierungsrichtlinie, wurde das WHOA weitgehend mit der Restrukturierungsrichtlinie im Einklang gebracht. Das WHOA ist im niederländischem Insolvenzgesetz (Faillissementswet) aufgenommen.
Bis zur Einführung des WHOAs, mussten Gläubiger und Gesellschafter von einem niederländischem Unternehmen einem außergerichtlichen Vergleich(onderhands akkoord, im Folgenden: der „Restrukturierungsplan“) einstimmig zustimmen. Ein einziger ablehnender Gläubiger oder Gesellschafter (ein Akkordstörer) konnte einen vielversprechenden Restrukturierungsversuch scheitern lassen, was zwangsläufig zu einer Insolvenz des Unternehmens führte. Das WHOA ermöglicht es, um nach Erhalt der Bestätigung (homologatie) des Restrukturierungsplans vom Gericht, auch die Gläubiger und Gesellschafter, die nicht abgestimmt bzw. gegen den Restrukturierungsplan gestimmt haben, am Restrukturierungsplan zu binden und das Unternehmen erfolgreich zu sanieren und restrukturieren. Ein bestätigter Restrukturierungsplan ist für alle beteiligten Parteien bindend.
Das WHOA-Verfahren und dessen Restrukturierungsinstrumente
Voraussetzung für die Inanspruchnahme der Restrukturierungsinstrumente des WHOAs ist die Anzeige des Restrukturierungsvorhabens (startverklaring) beim zuständigen Gericht oder die Einreichung eines Antrags zur Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten (herstructureringsdeskundige). Die Anzeige des Restrukturierungsvorhabens muss der Schuldner einreichen, sobald er mit der Vorbereitung eines Restrukturierungsplans im Rahmen des WHOAs anfängt. Ein Restrukturierungsbeauftragter kann auf Antrag des Schuldners, der Gläubiger, der Gesellschafter oder des Betriebsrats bzw. der Personalvertretung bestellt werden[2].
Zur Gewährleistung einer effektiven Unternehmensrestrukturierung, werden im WHOA mehrere Restrukturierungsinstrumente angeboten. Zum Schutz der Fortführung des Unternehmens, kann der Schuldner oder der Restrukturierungsbeauftragte die Anordnung eines Moratoriums (afkoelingsperiode) beantragen. Die Dauer eines Moratoriums beträgt maximal acht Monate. Zudem kann – ähnlich wie die gerichtliche Vorprüfung des StaRUGs – der Schuldner oder der Restrukturierungsbeauftragte das Gericht bitten, über Aspekte, die für das Zustandekommen des Restrukturierungsplans relevant sind, zu entscheiden. Zudem kann das Gericht auf Antrag des Schuldners oder des Restrukturierungsbeauftragten oder von Amts wegen vorläufige Maßnahmen anordnen. Außerdem gilt in den Niederlanden, ebenfalls wie in Deutschland, das Verbot von Lösungsklauseln[3]. Des Weiteren kann das Gericht auf Antrag des Schuldners oder des Restrukturierungsbeauftragten bestimmte Rechtshandlungen, wie z. B. die Aufnahme einer Neufinanzierung oder die Nutzung eines Kontokorrentkredites, genehmigen und diese Rechtshandlungen von insolvenzrechtlichen Anfechtungsrechten schützen, damit Banken bei der Vergabe von Restrukturierungsfinanzierungen nicht zurückhaltend sind.
Im Gegensatz zum StaRUG, aus dessen Referentenentwurf die einseitige Vertragskündigung ungünstiger Dauerschuldverhältnissen letztendlich gestrichen wurde, gibt es in den Niederlanden auch die Möglichkeit laufende Verträge, die für das Unternehmen finanziell belastend sind, einseitig zu kündigen.
Wem steht das WHOA-Verfahren offen?
Der Restrukturierungsplan kann im Rahmen von einem öffentlichen oder nicht-öffentlichen Vergleichsverfahren (openbare of besloten akkoordprocedure) (im Folgenden: das „öffentliche WHOA-Verfahren“ bzw. „nicht-öffentliche WHOA-Verfahren“) erstellt werden. Ein öffentliches WHOA-Verfahren wird im Insolvenzregister und im niederländischen Staatsanzeiger (Staatscourant) veröffentlicht. Ein nicht-öffentliches WHOA-Verfahren wird nicht in einem Register veröffentlicht. Nichtdestotrotz werden die Gerichtsentscheidungen oft anonymisiert auf www.rechtspraak.nl veröffentlicht.
Nur eine juristische Person oder ein Unternehmer, die ihren bzw. seinen COMI[4] in den Niederlanden hat, kann ein öffentliches WHOA-Verfahren einleiten. Allerdings kann in den Niederlanden jede juristische Person und jeder Unternehmer, (i) die ihren satzungsmäßigen Sitz / der seinen Wohnsitz in den Niederlanden hat, (ii) deren / dessen Planbetroffenen ihren satzungsmäßigen Sitz / Wohnsitz in den Niederlanden haben, oder (iii) deren / dessen Fall ausreichenden Bezug zum niederländischen Rechtsraum hat, die Restrukturierungsinstrumente des nicht-öffentlichen WHOA-Verfahrens beanspruchen. Ein Fall hat ausreichenden Bezug zum niederländischen Rechtsraum, wenn z. B. (i) der Schuldner seinen COMI in den Niederlanden hat, (ii) ein Großteil der Vermögenswerte des Schuldners sich in den Niederlanden befindet, (iii) die zu restrukturierenden Schulden aus Verpflichtungen resultieren, die dem niederländischen Recht unterliegen oder (iv) der Schuldner zu einer überwiegend niederländischen Unternehmensgruppe gehört. Es ist also nicht notwendig, dass eine juristische Person oder ein Unternehmer ihren / seinen COMI in den Niederlanden hat, um in den Niederlanden ein nicht-öffentliches WHOA-Verfahren einleiten zu können.
Zeitraum
Im Gegensatz zum deutschen Gesetzgeber, der für die Inanspruchnahme der Restrukturierungsinstrumente des StaRUGs Anschluss zur bestehenden drohenden Zahlungsunfähigkeit und dem dazugehörenden Prognosezeitraum von 24 Monaten gesucht hat, hat der niederländische Gesetzgeber einen neuen Antragsgrund im WHOA eingeführt, der wie folgt lautet: „Der Zustand, wobei der Schuldner sich in einer Lage befindet, in der er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht mehr in der Lage sein wird, seine Schulden zu begleichen“. Dieser neuer Antragsgrund kennt keinen Prognosezeitraum wie die deutsche drohende Zahlungsunfähigkeit gemäß § 18 InsO. Der niederländische Gesetzgeber hat diesbezüglich in der Gesetzesbegründung vermerkt, dass ein Unternehmen die Restrukturierungsinstrumente des WHOA-Verfahrens beanspruchen kann, wenn das Unternehmen erwartet, innerhalb von sechs bis zwölf Monaten zahlungsunfähig zu werden. Da es in den Niederlanden keinen gesetzlichen Prognosezeitraum und keine Insolvenzantragspflicht im Vorfeld der Zahlungsunfähigkeit gemäß § 15a InsO gibt, ist es in der Praxis möglich, dass die Geschäftsführung kurz vor einer bevorstehenden Insolvenz noch ein WHOA-Verfahren einleitet, um ein Insolvenzverfahren abzuwenden.
Seit Einführung der WHOA in 2021, wurde in etwa zwanzig Fällen die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens von Gläubigern beantragt (sowohl vor als auch nach Einreichung eines Restrukturierungsvorhabens). Der Eröffnungsbeschluss wurde allerdings vom Gericht wegen einem eingeleiteten WHOA-Verfahren aufgeschoben. In mindestens zwei Fällen, wobei das WHOA-Verfahren erst nach dem Eröffnungsantrag der Gläubiger eingeleitet wurde, wurde eine Insolvenz des Unternehmens mit einem bestätigten Restrukturierungsverfahren erfolgreich abgewendet.
WHOA in Zahlen
Ob ein Gläubiger nach einem WHOA-Verfahren einen finanziell gesunden Schuldner vorfindet, bleibt ungewiss. Aus dem Bericht des Justiz- und Sicherheitsausschusses vom 7. November 2022 geht hervor, dass bis Anfang Oktober 2022 260 Restrukturierungsvorhaben beim Gericht eingereicht wurden.
Aus veröffentlichten Gerichtsentscheidungen ist abzuleiten, dass bis April 2023 fast 90 WHOA-Verfahren eingeleitet worden. Bis April 2023 gab es 32 Anträge zur Bestätigung eines Restrukturierungsplans, wovon 23 vom Gericht bestätigt wurden. Drei der Restrukturierungspläne wurden in einem öffentlichen WHOA-Verfahren angeboten. Es ist unklar, ob die restlichen ca. 60 Restrukturierungsversuche gescheitert oder noch anhängig sind. In ca. 40 Verfahren wurden die Restrukturierungsvorhaben bereits vor mehr als 12 Monaten eingereicht.
Ein Restrukturierungsbeauftragter wurde nur in etwa 20 % der 90 WHOA-Verfahren beantragt und nur 12 mal bestellt. In etwa Zweidrittel der WHOA-Verfahren wurde ein Moratorium beantragt. Zweidrittel dieser Anträge wurden zugewiesen, meistens für die Dauer von zwei oder vier Monaten.
Unternehmen, die das WHOA-Verfahren und dessen Restrukturierungsinstrumente beantragen, sind Kapitalgesellschaften wie die BV und die NV sowie Personengesellschaften (personenvennootschappen), Einzelfirmen (eenmanszaken)und offene Handelsgesellschaften (vennootschappen onder firma). Die Höhe der Schulden eines Unternehmens liegt – sofern dies veröffentlicht wird – zwischen 80.000 EUR und 22.000.000 EUR.
[1] Richtlinie 2019/1023 über Restrukturierung und Insolvenz.
[2] Der Restrukturierungsbeauftragte hat in den Niederlanden andere Aufgaben und Befugnisse als in Deutschland. In den Niederlanden, unterstützt der Restrukturierungsbeauftragte (aktiv) die Ausarbeitung oder Verhandlung des Restrukturierungsplans. In Deutschland hat der Restrukturierungsbeauftragte in Deutschland primär eine Überwachungsfunktion. Zudem steht der Restrukturierungsbeauftragte in den Niederlanden nicht unter Aufsicht des (Restrukturierungs)Gerichts.
[3] Eine Lösungsklausel (ipso facto-clausule) ist eine Vertragsklausel, auf deren Grundlage der Gegenpartei eines Schuldners bei Eintritt bestimmter Ereignisse bestimmte Befugnisse eingeräumt werden.
[4] COMI = center of main interest (Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen).