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WHOA SPECIAL – 3. TEIL
WHOA SPECIAL III – Die Schutzmaßnahmen des niederländischen WHOA-Gesetzes
Der Restrukturierungsversuch eines Unternehmens kann durch verschiedene Parteien gefährdet werden. Damit der Schuldner das Unternehmen erfolgreich restrukturieren kann, bietet das WHOA-Gesetz dem Schuldner unterschiedliche Schutzmaßnahmen. Das WHOA-Gesetz – genauso wie das StaRUG – bietet die Möglichkeit, ein Moratorium anzuordnen und enthält ein Verbot von Ipso-Facto-Klauseln, das die Kontinuität eines Unternehmens gewährleistet. Zudem enthält es verschiedene Instrumente und Bedingungen, die die Zuverlässigkeit des Restrukturierungsplans (Deal Certainty) fördern und die Sicherheiten (Safe Harbour) für neue Investoren schaffen. In dieser dritten Sonderausgabe zum WHOA-Gesetz werden die Sicherungsinstrumente des WHOA-Gesetzes besprochen und mit den deutschen Stabilisierungs- und Restrukturierungsinstrumenten des StaRUGs verglichen.
Moratorium
Das Moratorium bietet dem Schuldner die Möglichkeit, eine Atempause einzulegen, damit dieser Zeit hat, einen Restrukturierungsplan zu erarbeiten, ohne dass einzelne Gläubiger die Verhandlungen des Schuldners torpedieren. Der Jahresbericht 2023 des WHOA-Pools[1], der im Sommer 2024 veröffentlicht wurde, zeigt, dass in 2023 in den Niederlanden das Moratorium (afkoelingsperiode) mit Abstand am häufigsten von allen Restrukturierungsinstrumenten beantragt wurde. Ebenso wie die Stabilisierungsanordnung des StaRUGs enthält das niederländische Moratorium eine Vollstreckungs- und Verwertungssperre, womit Zwangsvollstreckungsmaßnahmen und ggf. die Geltendmachung von Sicherungsrechten ausgesetzt werden. Das Moratorium wird in den Niederlanden zunächst bis zu vier Monaten angeordnet; in Deutschland kann dies bis zu drei Monaten geschehen. Es bestehen jeweils Verlängerungsmöglichkeiten unter bestimmten Voraussetzungen.
Aufschiebung der Insolvenzeröffnung
Neben einer Vollstreckungs- und Verwertungssperre schützt das niederländische Moratorium den Schuldner auch vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens während des Restrukturierungsversuchs. Ein Insolvenzantrag, entweder durch den Schuldner oder durch Gläubiger gestellt, führt in den Niederlanden nicht zur Aufhebung des WHOA-Verfahrens. Stattdessen wird die Entscheidung über einen eingereichten Insolvenzantrag während eines angeordneten Moratoriums aufgeschoben, damit der Schuldner oder ggf. der bestellte Restrukturierungsbeauftragte die Chance hat, die drohende Insolvenz abzuwenden.
Dies unterscheidet sich von der Vorgehensweise in Deutschland: Dort besteht für den Schuldner gemäß § 15 InsO eine Insolvenzantragspflicht im Vorfeld der Zahlungsunfähigkeit. Auch während des StaRUG-Verfahrens gilt eine Antragspflicht für den Schuldner, sobald die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung eintritt. Der Insolvenzantrag des Schuldners führt von Amts wegen zur Aufhebung des StaRUG-Verfahrens und das Insolvenzeröffnungsverfahren wird nicht mehr aufgeschoben. Tritt die Insolvenzreife ein, kann in Deutschland nur von der Aufhebung der Restrukturierungssache abgesehen werden, wenn die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens mit Blick auf den erreichten Stand in der Restrukturierungssache offensichtlich nicht im Interesse der Gesamtheit der Gläubiger liegen würde. Insolvenzanträge, die vor oder während eines StaRUG-Verfahrens durch Gläubiger gestellt werden, werden allerdings - genau wie in den Niederlanden - ausgesetzt.
Aufhebung des Restrukturierungsverfahrens
Das niederländische Gericht kann das Moratorium von Amts wegen oder auf Antrag des Schuldners, des Restrukturierungsbeauftragten oder der Gläubiger aufheben, wenn – kurz gesagt – es keine Aussicht mehr auf das Zustandekommen eines Restrukturierungsplans gibt und das Moratorium die Interessen der Gesamtgläubiger nicht mehr wahrt.
In Deutschland hebt das Gericht die Restrukturierungssache von Amts wegen unter anderem auf, wenn der Schuldner in schwerwiegender Weise gegen seine gesetzlichen Pflichten verstößt, insbesondere die Mitwirkungspflicht und die Pflicht zur Auskunftserteilung. Eine solche Regelung gibt es im WHOA-Gesetz nicht.
Ipso-Facto-Klauseln
Damit die Kontinuität des Unternehmens während eines Restrukturierungsversuchs nicht durch vertragliche Klauseln gefährdet wird, sieht sowohl das WHOA-Gesetz als auch das StaRUG ein Verbot von Ipso-Facto-Klauseln vor. Diese Klauseln kommen häufig in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, Mietverträgen und finanziellen Vereinbarungen vor und erteilen der Gegenpartei eines Schuldners bei Eintritt bestimmter Ereignisse bestimmte Befugnisse. Dazu gehört beispielsweise die Befugnis, einen Vertrag zu ändern, die Leistung zu verweigern oder den Vertrag zu beenden. Gemäß des WHOA-Gesetzes bzw. des StaRUGs haben diese Klauseln, die eine (automatische) vertragliche Rechtsfolge an die Eröffnung eines WHOA-Verfahrens bzw. StaRUG-Verfahrens oder an damit zusammenhängende Ereignisse oder Handlungen knüpfen, keine Wirkung.
Gerichtliche Vorprüfung
Um sicherzugehen, dass der Restrukturierungsversuch auch erfolgversprechend ist und der Restrukturierungsplan schließlich durch das Gericht bestätigt wird, hat der Schuldner in den Niederlanden die Möglichkeit, im Vorfeld der Bestätigung des Restrukturierungsplans Fragen zu klären. Dabei kann überprüft werden, ob der Restrukturierungsplan die inhaltlichen und formellen Voraussetzungen des WHOA-Gesetzes erfüllt. Zu den möglichen Fragen gehören zum Beispiel, ob die Gruppeneinteilung richtig ist, ob ein Planbetroffener zur Abstimmung zugelassen werden kann, ob das vorgenommene Abstimmungsverfahren geeignet ist oder ob ein Ablehnungsgrund der Bestätigung des Restrukturierungsplans entgegensteht.
In Deutschland kann sich der Schuldner im Wege einer sogenannten gerichtlichen Vorprüfung solche Fragen ebenso beantworten lassen. Zudem kann er im Hinblick auf seine Insolvenzantragspflicht fragen, ob nach Einschätzung des Gerichts eine Zahlungsunfähigkeit des Schuldners droht. Im Rahmen dieser gerichtlichen Vorprüfung kann sich der Schuldner zusätzlich entscheiden, die Abstimmung über den Restrukturierungsplan durch das Gericht vornehmen zu lassen: das gerichtliche Planabstimmungsverfahren. Dieses Verfahren gibt es in den Niederlanden nicht. Ob die Abstimmung über den Plan ordentlich stattgefunden hat, wird erst im Bestätigungsverfahren geprüft.
Safe Harbour für neue Investoren
In den Niederlanden und in Deutschland können im Insolvenzverfahren bestimmte Handlungen des Schuldners im Vorfeld der Insolvenz angefochten und damit rückgängig gemacht werden, wenn diese – kurz gesagt – zur Benachteiligung der Gläubiger geführt haben. Um zu vermeiden, dass ein Finanzierungsabschluss im Insolvenzverfahren – sollte es letztlich doch zu einem kommen – als eine solche Handlung gilt, sehen das WHOA-Gesetz und das StaRUG ein „Safe Harbour“ für neue Investoren vor. Dieser „Safe Harbour“ sorgt dafür, dass die Neufinanzierungen, Zwischenfinanzierungen und andere angemessene und plannotwendige Transaktionen während des Restrukturierungsverfahrens geschützt werden. Unter bestimmten Voraussetzungen sind bestimmte Rechtshandlungen privilegiert und in einem späteren Insolvenzverfahren nicht anfechtbar.
In den Niederlanden soll der Schuldner dafür um die Genehmigung der Rechtshandlungen beim Gericht bitten. In Deutschland gilt, dass die Rechtshandlungen bei Kenntnis des Restrukturierungsverfahrens oder über die Inanspruchnahme von Restrukturierungsinstrumenten nicht automatisch zu der Annahme eines sittenwidrigen Beitrags zur Insolvenzverschleppung (§ 15a InsO, § 826 BGB) führen. Ebenso wird nicht angenommen, dass vorsätzlich eine Benachteiligung der Gläubiger stattfinden sollte.
Einstweilige Maßnahmen
Das WHOA-Gesetz bietet zudem die Möglichkeit, maßgeschneiderte einstweilige Maßnahmen (voorlopige maatregelen) zu treffen, wenn dies zur Wahrung der Interessen von Gläubigern oder Anteilseignern erforderlich ist. Dies könnte zum Beispiel die Bestellung eines Beobachters, der den Prozess der Vorbereitung und Abstimmung des Plans beobachtet, oder Einschränkungen von Stimmrechten von Gesellschaftern sein, infolgedessen ein Vorstands- oder ein Aufsichtsratsmitglied während des WHOA-Verfahrens nicht von der Hauptversammlung abberufen, ersetzt oder suspendiert werden kann. Laut des Jahresberichts des WHOA-Pools hat insbesondere das vorübergehende Moratorium (tijdelijke afkoelingsperiode) an Popularität gewonnen. Ein vorübergehendes Moratorium wird während der Entscheidungsfrist des Gerichts über den Antrag auf Erteilung eines Moratoriums angeordnet und ist eine einstweilige Maßnahme bis zur endgültigen Entscheidung über den Antrag.
Rechtsmittel
In den Niederlanden ist die Bestätigung des Restrukturierungsplans eine abschließende Entscheidung des Gerichts. Gegen Entscheidungen des Gerichts im WHOA-Verfahren ist kein Rechtsmittel gegeben. Laut des niederländischen Gesetzgebers sei dies gerechtfertigt und notwendig, weil der Restrukturierungsplan in einer drohenden Insolvenzsituation geschlossen wird und der Plan nach Bestätigung zur Abwendung der Insolvenz schnell umgesetzt werden muss.
Dies ist in Deutschland wesentlich anders – in Deutschland kann der Beschluss über die Bestätigung oder Versagung des Plans unter bestimmten und strengen Voraussetzungen vom Schuldner oder den Gläubigern mit einer sofortigen Beschwerde angegriffen werden.
Einen Überblick über das niederländische WHOA-Verfahren im Vergleich zum deutschen StaRUG finden Sie in unserer ersten Sonderausgabe. Mehr über die Rechte von Gesellschaftern und Gläubigern, den Inhalt des Restrukturierungsplans und die Voraussetzungen für die Annahme und Bestätigung des Restrukturierungsplans lesen Sie in unserer zweiten Sonderausgabe.
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[1] Eine Gruppe von spezialisierten Richtern*innen und Mitarbeitern*innen, die mit der Anwendung des WHOA beauftragt sind.